Themen | Mauer, Wende, Einheit

DDR Reisegesetz bereits vor der Wende im Wandel


Nicht erst im Herbst 1989 gingen DDR Bürger auf die Barrikaden. In der Vertretung der BRD in Ost-Berlin und in der Botschaft in Prag hielten sich Anfang Januar 1989 mehrere Dutzend DDR Bürger auf, die ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollten. Diese Aktionen bedeuteten für Erich Honecker einen Rückschlag, denn Honecker hatte gehofft, die seit 1. Januar geltenden Verordnung über "ständige Ausreisen" von DDR-Bürgern würden derartige Aktionen aus der Welt schaffen.


DDR Wachposten am Grenzübergang Sebastianstraße in Ostberlin
©RSM 
"Gute und gerechte Reiseregelungen" spielen "eine große Rolle für das Wohlbefinden der Bürger in ihrem Staat", gab Manfred Stolpe, damals noch Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, in einem Interview mit der "Welt" zum Besten. Stolpe, der wie kein anderer ostdeutscher Kirchenführer sich bemühte, die angespannten Bürger für ein positives Engagement in der DDR-Gesellschaft statt auf Kritik und Krawall zu stimmen, fand Beachtung in der Parteiführung. Seine Ratschläge an die Staatsführung, wie sie mit mehr Liberalität und Reisefreiheit die allgemeine Stimmung in der DDR auffangen könnte, fanden auch bei den Funktionären der SED zunehmend Anklang.

Parteichef Erich Honecker ordnete 1988 eine Novellierung der "Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland" an. Bekanntgegeben wurde diese am vom 30. November 1988, mit Inkraftsetzung am 1. Januar 1989. Verändert wurden Passagen zur "ständigen Ausreise" aus der DDR. Diese Novellierung schuf erstmals einen Rechtsrahmen für Antragsteller, in welchem die bisherige Willkür der entscheidenden Organe stark eingeschränkt wurde. Plötzlich gab es feste Fristen für die Bearbeitung der Anträge sowie den § 19, welcher bei negativen Bescheiden dem Antragsteller das Recht auf eine Gerichtliche Nachprüfung einräumte. Die erneuerte Verordnung gab DDR-Bürgern das Recht auf wiederholte Anträge zur ständigen Ausreise, Ablehnungen durch die Behörden gerichtlich überprüfen zu lassen und die Klausel, dass Auswanderungen nicht nur im Zuge einer Familienzusammenführung genehmigt werden können, sondern allgemein "aus anderen humanitären Gründen".

Diese positive Veränderung wurde in den DDR Medien allerdings nicht mit dem nötigen Nachdruck publiziert. Entweder wurde sie nicht wahrgenommen, oder DDR-Bürger misstrauten der neuen Linie und versuchten lieber wie bisher ihre Ausreise durch Druck zu beschleunigen. Eine fatale Situation. Die DDR Regierung reagierte auf Unmut in der Bevölkerung und installierte ein Überdruckventil. Doch die DDR Bürger trauten dem Ganzen nicht, waren oft nicht in Kenntnis über die neuen gelockerten Regelungen zur "ständigen Ausreise" gesetzt und taten das, was am Ende zur Wende führten - mit Druck verließen sie die DDR und läuteten damit eine Welle der Abwanderung aus. Diese Abwanderung von Arbeitskräften und Intelligenz wiederum zwang die DDR, den ganzen Staat in Frage zu stellen. Man könnte spekulieren, vieles wäre anders gekommen wenn die wirklich Unzufriedenen die neuen Regelungen zur ständigen Ausreise genutzt hätten und Ruhe im Land einkehrte.

Analysten aus der DDR gaben die Schuld an dieser Situation vor allem der eigenen Bürokratie. Die zuständigen Behörden hatten jahrelang auf Anordnung von oben mit Willkür Antragsteller behandelt und nun sollten eben diese Staatsdiener von heut auf morgen umdenken und zum "Freund" der Antragsteller werden. Das ging schief, wie die Geschichte zeigte. In der Novellierung des Reisegesetztes ist zu lesen:

§ 23. (1) Diese Verordnung tritt mit Ausnahme des § 19 am 1. Januar 1989 in Kraft. Der § 19 tritt am 1. Juli 1989 9 in Kraft.

Der § 19 beinhaltete das Recht auf eine Gerichtliche Nachprüfung der Ablehnung. Die DDR wusste um die kommende Antragsflut und wollte sich vermutlich etwas Zeit verschaffen, dem Chaos Herr zu werden. Möglicherweise war es aber dieser Passus, der die DDR Bürger skeptisch aufhorchen ließ.

Erich Honeckers größter Wunsch war es, mit der DDR international geachtet zu werden. Um internationale Reputation bemüht, ist er zu einem weiteren Zugeständnis bereit: für Besucher aus dem westlichen Ausland den Zwangsumtausch D-Mark in DDR Mark zum Kurs von 1:1 zu reduzieren oder abzuschaffen. Wenn man damaligen Zeitzeugen und Berichten glaubt, befand sich die DDR nicht erst im Herbst 1989 im Umbruch.


Autor: nokiland


Facebook