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Wenn ein Land stirbt



Teil 7: Die Erben der DDR


In den 40 Jahren ihres Bestehens durchlebte die DDR drei verschiedene "Systeme" und prägte die Menschen, die in diesem Land lebten. Zuerst herrschten die Sowjets über die DDR, bestimmten Politik und Wirtschaft, dann folgten die Ulbricht- und Honecker-Ära. Was hätte man aus diesen drei verschiedenen Abschnitten der DDR Entwicklung mit nehmen können in ein neues Land "DDR"?

Haben wir nach der Ă–ffnung der Grenze unserer DDR zu schnell den RĂĽcken gekehrt? Wollten wir wirklich Teil eines Gesamtdeutschlands werden oder nicht eigentlich nur Freiheit und mehr Demokratie in unserem Land, der DDR?

Haben wir den internationalen Finanzhaien unsere eigene Vergangenheit und damit einen Teil unseres Lebens zum Fraß überlassen? Werden wir eines Tages aufwachen und verstehen, wofür unsere Eltern gekämpft und gearbeitet haben. Nein, mit dem was jene Ära an Begleiterscheinungen mit sich brachte, waren wir nicht immer zufrieden. Aber waren deshalb auch ihre Ziele falsch? Vielleicht werden wir eines Tages aufwachen und uns mit Wehmut daran erinnern, welchen Visionen unsere Eltern hatten. Aber dann werden die kleinen Errungenschaften, die es zweifelsohne gab, verloren sein. Ausverkauft und verramscht von uns selbst, weil wir mit dem Erbe „DDR“ nichts anzufangen wussten. Vielleicht ist es an der Zeit, die letzten Erinnerungsstücke zusammenzusuchen und das Gute darin als Vermächtnis zu bewahren.

In der Ulbricht Ära wurde begonnen die uneffektive Planwirtschaft abzuschaffen und Leistung wurde belohnt. Nach dem Putsch Honeckers gegen Ulbricht führte Honecker die Planwirtschaft wieder ein. Eine "neue DDR" hätte Ulbrichts Wirtschaftspolitik weiter verfolgen müssen. Eine "Diktatur des Kapitals" sollte vermieden werden. Wenn Gewinn und Dividenden das Angebot von Arbeitsplätzen bestimmt, wäre nichts gewonnen. Wo Rohstoffe immer mehr verknappen, hätte die "neue DDR" sich eine Nische mit wenig Ressourcenbedarf suchen müssen. Forschung, Entwicklung, Grundlagenforschung, Service-Land und High-Tech sind nur einige Schlagwörter. Österreich macht es uns vor. Österreich liegt mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 4,7 Prozent an Platz 2 in Europa, denn die Arbeitslosenquote der EU-27 lag 2009 bei 9,3 Prozent. Somit kann auch ein Land mit wenigen Ressourcen wirtschaftlich bestehen. Statt die Wirtschaft der DDR neu zu strukturieren, wurde sie jedoch über die Treuhand verrammscht und abgewrackt.

Wenn wir eines in 40 Jahren real existierendem Sozialismus gelernt haben, dann dass soziale Belange nicht privatisiert werden sollten. Wenn das Recht auf eine wichtige Operation vom Cash-Flow der Krankenkasse abhängt, gibt es kein Recht mehr auf allumfassende medizinische Betreuung für jeden Bürger. Verkehrsbetriebe sollten ebenfalls in Staatshand bleiben. Die Mobilität der Bürger ist Voraussetzung für eine flächendeckende Nutzung von Arbeitsangeboten. Wenn der Arbeitswillige sich nicht mehr die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz leisten kann, kann ein Arbeitsplatz nicht besetzt werden, wenn im direkten Umfeld des Arbeitsplatzes kein Arbeitnehmer für diesen Job verfügbar ist. Wie auch bei den Büchern heute, sollte eine gewisse Preisbindung bei Lebensmitteln eingeführt werden. Was bei Büchern funktioniert und als Schutz der Kulturschaffenden auch in der Marktwirtschaft akzeptiert ist, kann auch bei anderen Wirtschaftgütern genutzt werden.

Aber nichts davon haben wir wirklich in Angriff genommen. Wir haben für Freiheit und mehr Demokratie in unserem Land gekämpft, haben diesen Kampf gegen Honecker und das System gewonnen – und haben dann unser Land DDR im Stich gelassen indem wir mit wehenden Fahnen zum „Großdeutschland“ überliefen.

Wenn ein Land stirbt – was bleibt dann für seine Bürger? So langsam begreifen die „West-Stürmer“ von damals, dass wir kein erneuertes Land bekommen haben, sondern ein anderes. Eines, in dem vieles anders läuft als wir es kannten – und so manches auch anders läuft als wir es wollten. Die Menschen gingen 1989 auf die Straße und demonstrierten für mehr Freiheit und ein besseres Leben. Aber heute, 20 Jahre später, ist das Leben im Osten nach wie vor schlechter als im Westen. Niedrigere Löhne sind sogar gesetzlich verankert – und wir haben zugestimmt.

Auch wenn ein Land stirbt – verschachern die Kinder ihr Erbe. Beim Tod der DDR übernahm das „Auktionshaus Treuhand“ das Versilbern. Aber wirklich viel erhalten haben die hoffenden Erben nicht. Im Gegenteil manche haben weniger als vorher. Zwar sind das Warenangebot und die Möglichkeiten mehr geworden, aber gleichzeitig stiegen auch die Preise und die auferlegten Pflichten. Früher zeigte uns das West-TV das ersehnte Konsum-Paradies, heute sitzen wir mitten drin und dürfen mangels ausreichendem Einkommen den Apfel nicht pflücken. Sicher, einige haben ihr persönliches Paradies gefunden. Speziell die fast schon legendären „Ost-Frauen“ haben beruflichen Erfolg im Westen bis hin zu den Führungsetagen. Aber für viele, zu viele, sind die früheren sozialen Sicherungsnetze weggefallen und sie selbst in eine Krise gestürzt. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Wenn ein Familienoberhaupt geht, fühlen die Angehörigen zunächst Trauer und dann den Hauch der Freiheit, das Gefühl, selbst alles bestimmen zu können ohne Rücksicht nehmen zu müssen. Erst später, manchmal viel später, erwacht erneut das Gefühl, dass man eine wichtige Bezugsperson verloren hat.

Wir haben ein Land verloren. Und jetzt, 20 Jahre später, dämmert uns, dass mit ihm auch ein Teil unserer eigenen Identität von uns gegangen ist. Ist sie für immer verloren – oder können wir uns einen Teil bewahren? Manchmal braucht es ein kleines Erinnerungsstück um uns wachzurütteln und uns klar zu machen, dass es auch in weniger guten Zeiten immer etwas gibt, das es wert ist, für die Zukunft aufbewahrt zu werden.


Autor: nokiland


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Teil 1: Wenn ein Land stirbt
Teil 2: Im Spiegel der Erinnerung
Teil 3: Die Ă„ra Ulbricht
Teil 4: Die Ă„ra Honecker
Teil 5: Der Blick ĂĽber die Mauer
Teil 6: Der Blick nach vorn
Teil 7: Die Erben der DDR