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Ein Leben im Kinderheim Machern



Teil 5: Frust und kleine Freuden in Machern


Natürlich war in einem Kinderheim nicht alles erlaubt. Aber es gab auch kleine Freuden, die besonders viel Spaß machten, wenn man sie sich heimlich erobern musste.

Das Essen im Bett war im Heim verboten. Klar, heute essen unsere Kinder ja auch nicht im Bett, wenn das Licht ausgeht. Wir schmuggelten uns aber oft ein paar trockne Brotscheiben in den Schlafraum oder holten uns nachts Nachschub. Im Erdgeschoss gab es eine Art Vorküche. Während die Lagerkammer mit den ganzen Schätzen immer abgeschlossen war und man nur über den Essensaufzug in sie rein kam, stand ein Teil des Küchenbereiches offen und man konnte aus den Brotkübeln heimlich Brot mitgehen lassen. Das taten wir auch regelmäßig. Damit die Nachtwache in Person der Erzieherinnen uns nicht mit Brot in den Händen die Treppe hochlaufen sehen, klemmten wir die Scheiben unter unser Schlafanzughemd. Am besten schmeckte beim heimlichen gemeinschaftlichen futtern dann die Brotkante.

Mehrmals jährlich mußten alle mit anpacken: Gartenarbeit. Bei soviel Bäumen wollte eine Menge Laub im Herbst weggeräumt werden. Und darauf freute sich niemand. Wenn auch noch der Tag verregnet war, fühlte sich das feuchte Laub noch ungemütlicher an. Es waren meterhohe Laubberge – so kamen sie uns zumindest vor – die wir mit unzähligen Schubkarren wegfahren mussten. Dass wir gründlich das Laub zusammenfegten, darauf passten die Erzieher schon auf. Wir hassten diese Tage. Zumal für uns, als wir noch kleiner waren, diese Arbeit nichts mit Spaß zu tun hatte. Sie war für Jugendliche schon kein Zuckerchlecken, für die Kinder der Unterstufe war sie einfach nur sehr anstrengend. Vor allem wenn man bis zum Abend fertig werden musste.

Ja, das waren Dinge, die ich nicht als schön in Erinnerung habe. Gut in Erinnerung habe ich jedoch die Arbeitspausen, wenn es warmen Tee und Fettbemmen gab. Die waren auch noch rationiert. Nicht weil es nicht genug zum Essen gab. Sondern damit nichts übrig blieb und weggeworfen werden mußte. Heute richtet man zum Essen oft mehr an als wirklich gegessen wird und vieles fliegt in die Bio-Tonne. Damals ging man mit dem Essen irgendwie sparsamer um; es wurde gerade soviel gekocht, dass es für alle reichte.

An eines erinnere ich mich auch noch sehr deutlich: Die „Legenden“ um einen kleinen Wald mitten in einem unendlich weiten Feld. Auf einem Feld an der Polenzer Landstraße, linker Hand vom Heim kommend, sieht man in hunderte Meter Entfernung einen kleinen Wald auf dem Feld. Wie eine Insel im Meer. Die Älteren erzählten, dort sei ein Bunker aus dem 2. Weltkrieg versteckt und man könne noch Munition finden. Und jeden Tag, an dem wir zur Schule gingen und diesen mysteriösen Wald sahen, hatten wir den Wunsch dort rüber zu laufen. Aber irgendwie hatten wir auch Schiss. Vielleicht war es Militärisches Sperrgebiet und die Russen oder NVA erwartet uns mit der MP in der Hand? Als wir größer waren, haben wir uns irgendwann in den Wald getraut. Was wir vorfanden, war aber enttäuschend. Nix mit Bunker. Nur die Reste eines alten Bauwerkes, vermodert und zugewachsen. Mit Moos übersäte Bäume, leichtes Sumpfgebiet mit Rohrbomben. Nee, das waren keine Rohrbomben im Sinne von Bombe sondern Rohrkolben (auch: Lampenputzer, Schlotfeger, Pompesel oder Kanonenputzer). Mit Militär und Bunker hatten die Dinger rein garnichts zu tun. Der Wald war für uns entmystifiziert.


Autor: nokiland


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Teil 1: Ein Leben im Kinderheim Machern
Teil 2: Erziehung statt Um-Erziehung
Teil 3: Begabungen und persönliche Entwicklung wurde gefördert
Teil 4: Schulunterricht in einem echten Schloss
Teil 5: Frust und kleine Freuden in Machern
Teil 6: Integration der Heimkinder in den Schulalltag
Teil 7: Die Kinderheime in der DDR waren keine Straflager für Schüler
Teil 8: Das Kinderheim in Machern nach der Wende
Teil 9: Das ganz persönliche Wort zum Sonntag