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Ein Leben im Kinderheim Machern



Teil 6: Integration der Heimkinder in den Schulalltag


Hatten wir es als Heimkinder schwer unter den anderen Kindern? Waren wir oft ausgegrenzt wie die Ausländer in Deutschland?

Nein, mir ist mir diesbezüglich nichts gravierend Negatives in Erinnerung. Zwar wurde schon mal mit dem Finger auf einen gezeigt, wenn jemand dich nicht leiden konnte. Da kam das Wort "Heimkind" gerade recht. Einmal, nach derSchule, haute mir ein Rotzlöffel aus meiner Klasse ein paar auf die Nase. Das war der Klassen-Rabauke, ein Stänkerer. Ich bekam Nasenbluten und hielt mir die Nase zu. Konnte nichts machen. Da kamen Schulkameraden und meinten: „Du lässt Dir das doch nicht gefallen, hau zurück!“. Na, da konnte ich mich nicht rausreden. Ich bin kein Prügelprinz, aber wenn die Klassenkameraden so kommen, wäre es peinlich nichts zu tun. In der 2. Klasse trainierte ich ein Jahr lang Ringen. Nachdem ich bei meinem ersten großen Wettkampf nicht gerade der Hit war, lies ich es wieder sein. Aber so, wie man das Radfahren nicht verlernt, verlernt man auch die grundlegenden Griffe und Techniken nicht. Ich packte also den Rabauken und beförderte ihn mit einem geübten Hüftwurf zu Boden - und setzte mich auf ihn. Da fängt er plötzlich an zu heulen. Ohne dass ich ihm weh tat. Aber danach änderte er sein Verhalten mir gegenüber und in der Klassenordnung stieg ich auf. Komisch, wie doch Gewalt das Ansehen einer Person steigern kann.

Aber ansonsten waren wir integriert in der Schule. Eines aber stimmt: es gab keinen normalen Kontakt nach der Schule zu den anderen Kindern, weil wir immer gleich nach Hause mussten. Theoretisch zumindest. Tatsächlich wurde natürlich gebummelt und man lies sich Zeit. Als wir älter wurden, war es nicht mehr so streng und wir konnten uns zur Burgruine schleichen. Aber intensive Freundschaftskontakte zu anderen Schülern und gegenseitiges Einladen gab es allerdings weniger. Wer wollte schon jemand ins Kinderheim einladen? Ich glaube mich aber erinnern zu können, dass wir doch ein paar Freunde zum Spielen einluden. Es ist aber nur noch eine vernebelte Erinnerung; allzu intensiv war das Erlebnis also wohl nicht gewesen.

An unseren Sachen merkte man aber schon, dass wir etwas anders lebten. Wir hatten nicht so oft neue Sachen. Die Kleineren trugen oft die Sachen der herausgewachsenen Älteren. Auch Schuhe. Regelmäßig war Kleiderausgabe, wo wir uns aus einem Fundus neuer Altkleider Sachen heraus suchen konnten. Es war immer eine Art Feiertag wenn es neue Sachen gab, Wir gingen dazu nicht in ein Geschäft, sondern das Geschäft lieferte die Ware an. War einer zu groß oder zu dick und klein, hatte er Pech, was die Kleidergröße betraf. Da wurde dann abgenäht und umgenäht. Aber eines möchte ich festhalten: schlampig liefen wir nicht herum. Immer ordentlich, aber eben nur nicht stets modisch aktuell gekleidet.


Autor: nokiland


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Teil 1: Ein Leben im Kinderheim Machern
Teil 2: Erziehung statt Um-Erziehung
Teil 3: Begabungen und persönliche Entwicklung wurde gefördert
Teil 4: Schulunterricht in einem echten Schloss
Teil 5: Frust und kleine Freuden in Machern
Teil 6: Integration der Heimkinder in den Schulalltag
Teil 7: Die Kinderheime in der DDR waren keine Straflager für Schüler
Teil 8: Das Kinderheim in Machern nach der Wende
Teil 9: Das ganz persönliche Wort zum Sonntag