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Politik & Gesellschaft
Null Toleranz für Andersdenkende?Tilo Sarrazin, der am 12. Februar 1945 in Gera geborene Volkswirt, Autor und ehemaliger Senator von Berlin, hat sich in den letzten Wochen sicher öfters gefragen, ob die ehemalige DDR heimlich wieder eingeführt wurde. Der DDR warf man vor, ein Unrechtsstatt zu sein, Meinungsfreiheit gäbe es nicht und mit Demokratie hätte das schon gar nichts zu tun. Aber wie viel Demokratie und Meinungsfreiheit gestatten die politischen Führer im vereinigtem Deutschland einem Andersdenkendem? Eines vorweg: Ich ergreife keine Partei für die Meinungen des recht umstrittenen Tilo Sarrazin. Sein bisheriges Wirken, soweit ich es als Außenseiter registriere, erscheint mir eher suspekt. Mit über 45 Nebentätigkeiten war Tilo Sarrazin im Juni 2008 das Senatsmitglied mit den meisten Nebentätigkeiten. Seit August 2009 ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Sarrazin wegen Untreue. Im Jahre 2008 unterbreitete Sarrazin Vorschläge, wie ALG-II Empfänger sich für weniger als vier Euro pro Tag ernähren könnten. Rentner sollten sich nicht auf höhere Renten freuen, sondern sich damit abfinden, dass die Bezüge langfristig eher auf das Niveau einer Grundsicherung fallen wird. Sympathischer wird Sarrazin auch nicht durch seine Tätigkeit für die ehemalige Treuhandgesellschaft zur 'Abwicklung' volkseigener Betriebe. Provokant sind seine Thesen. Ohne ausreichend eigenes Hintergrundwissen und geistiges Denkvermögen, ist da nur schwer die Wahrheit zu finden. Ist Intelligenz vererbbar, oder tritt Tilo Sarrazin in die Fußstapfen verstorbener nationalsozialistischer Propagandisten? Schnell kann man 'buh!' rufen, eben dies Sarrazin unterstellen und ihn in die braune Ecke abschieben. Tatsache jedoch ist: die Gene geben den Bauplan der Eltern weiter. Oft ähnelt das Aussehen der Kinder sogar dem der Eltern. Ein Vaterschaftstest macht sich überflüssig. Die Gene vermitteln nicht nur den Aufbau für Nase, Ohr oder Mund. Sie geben auch Informationen weiter zum Knochenaufbau, wie viel Muskeln das Kind einmal produzieren kann. In der Tat bauen manche Sportler schneller Muskeln auf als andere, das haben sie von ihren Eltern geerbt. Vererbt werden auch Organdefekte und die Veranlagung, bestimmte Krankheiten der Eltern zu erben. Das wissen wir alle. Doch ist auch das Gehirn ist ein Organ, dessen Informationen zum Aufbau in den Genen liegen? Tilo Sarrazin führt Argumente ins Feld, die man nicht mit Buhrufen aus der Welt schaffen kann. So ist auch Sarrazins Ansicht, ausländisch abstammende Bürger zeigen kein Willen sich zu integrieren, differenziert zu betrachten. Da hilft es nicht, wenn eine türkischstämmige gutaussehende Prominente strahlend in die Kamera schaut und erklärt, ausländische Bürger wollen sich sehr wohl integrieren, das sieht man ja an ihr selbst und überhaupt hat sie ihre Kinder schon mit 2 Jahren im Kindergarten angemeldet. Natürlich entwickeln sich Kinder aus sozial starken Familien positiver, die Bildung und Förderung der Kinder ist besser – und das unabhängig von der herkunft. Was auch immer Tilo Sarrazin von sich gibt, es ist seine Meinung, die auch von einer breiten Bevölkerungsschicht bejaht wird. Und seine Meinung, wie auch die vieler Bürger, ist untragbar für die deutsche Politik. Aber muss es denn, wie damals in der DDR, zu Entlassung und Ausschluss aus der Partei führen? Darf man Menschen, die eine andere Meinung vertreten, den Job weg nehmen? Es ist doch nur eine Meinung? Dank seiner medialen Präsenz und Bekanntheit, kann Tilo Sarrazins Meinung schnell zu einem Volksbegehren werden und zur Absetzung von Politikern führen. Man stelle sich einmal vor, das Volk hat wirklich die Macht der Demokratie in ihren Händen. Wie schnell würde sich da in Deutschland so einiges ändern. Angefangen bei den Diäten der Volksvertreter und der Korruption zwischen Wirtschaft und Politik. Aber in Deutschland gibt es nicht die vom Volk verstandene Demokratie, bei der Bürger mit ihrer Abstimmung die Politik des Landes steuern können. Deutschland ist eine Republik mit einer sogenannten repräsentativen Demokratie. Zwischen den Wahlen, in der sogenannten Legislaturperiode, haben unsere Bürger hingegen keinen direkten Einfluss auf die aktuelle Politik, es sei denn die Möglichkeit von Volksabstimmungen und Volksbefragungen können genutzt werden. Eine Möglichkeit auf Bundesebene einen Volksentscheid zu initiieren, gibt es jedoch nicht. Soweit geht die Demokratie dann doch nicht. Die Politiker basteln ihre eigene Politik, unabhängig von dem Begehren des Volkes. Das kennt man aus der Ex-DDR. Und natürlich konnte die Politik weder damals noch heute unbequeme Meinungsmacher gebrauchen. Obwohl die Mehrheit Sarrazins Meinung ist, darf er sie nicht ungestraft vertreten. In der DDR gerieten allzu kritische Querschläger ins Fadenkreuz der Stasi und in den Knast, wenn sie es zu weit trieben. In der BRD und heute in Deutschland ist das gar nicht nötig. Wirkungsvoller ist die Androhung von Arbeitslosigkeit und sozialer sowie gesellschaftlicher Abstieg in unserer Konsumgesellschaft. In der DDR hätte es einen Oppositionellen kalt gelassen, wenn er von nur 500 Mark leben müsste. Da musste sich die DDR schon etwas anderes einfallen lassen, um unliebsame Andersdenkende los zu werden. Später (nach dem Mauerbau) versuchte das MfS vermehrt oppositionelles Verhalten ohne Anwendung des Strafrechtes zu sanktionieren und stattdessen auf „weiche“ und „leise“ Formen der Repression zurück zu greifen. Dazu zählten die sogenannten Zersetzungsmaßnahmen. Ihnen wurden teilweise Straftaten vorgeworfen, die von inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi arrangiert wurden um unliebsame Personen zu kriminalisieren. Inoffiziellen Mitarbeiter schlichen sich in den Bekanntenkreis als 'Freunde' ein und untergruben letztendlich das gesellschaftliche Ansehen der Querulanten, in dem sie ihm Stasi-Mitarbeit andichteten. In Deutschland geht das viel sauberer zu lösen. Allein die Angst vor Arbeitslosigkeit ist so groß, dass kaum jemand auf Arbeit die Klappe aufmacht. Es sei, der Chef vertritt die selbe Linie. Künstler aus der ehemaligen DDR zeigen sich verhalten, wenn es auf das Thema DDR kommt. Handwerker und der Mittelstand geben sich als erfolgreiche Ankömmlinge im neuen Deutschland aus, auf der Grillparty nach dem dritten Bier dann eine andere Meinung. Alles sei ja so schlecht doch nicht gewesen und überhaupt täte es unserem Land mal wieder gut, wenn der Staat die Wirtschaft kontrolliert und nicht die Wirtschaft dem Staat die Politik vorschreibt. Tilo Sarrazins Buch und Thema interessiert mich als Leser eher weniger. Was er schreibt ist oft altbekannt und vielfach Volksmeinung. An meinem Wohnort kann ich Sarrazins Behauptungen beispielsweise nicht nachvollziehen. Ich lebe in einem heilen Multikulti-Stadtbezirk. Im Stadtbezirk Leipzig Schönefeld sieht es hingegen nach sarrazinischen Verhältnissen aus. Um mir das zu erklären muss ich mir nicht sein Buch kaufen oder debattieren ob er Recht oder Unrecht hat. Was mich aber interessiert, ist die Reaktion unserer Staatsführung auf unliebsame Bürger und der Versuch sie zu kriminalisieren. Da werden doch wirklich Strafanträge wegen Volksverhetzung gestellt, um ihn strafrechtlich den Mund zu verbieten. Weder ist mir Tilo Sarrazins Lebenslauf sympathisch, noch werde ich sein Buch kaufen. Aber eines macht ihn mir sympathisch: seine Rolle als Opfer unseres Rechtsstates, in dem die sogenannte Meinungsfreiheit eben doch nicht die generelle Ausübung einer freien Meinung Andersdenkender zulässt. Die DDR lässt grüßen. Wer jetzt noch über die DDR schimpft, sollte sich einmal an den Fall Sarrazin erinnern. |
Autor: nokiland |